Das wichtigste europäische Ereignis, das in den letzten Tagen in Polen stattgefunden hat, war der Besuch des Bundespräsidenten Christian Wulff in Warschau. Dazu brachte vor wenigen Tagen die links-liberale Gazeta Wyborcza ein Interview mit dem neuen Bundespräsidenten.
1. Zu seiner Beziehung zu Polen meint Christian Wulff:
„Ich bin 14 Jahre nach Kriegsende geboren, und wie vielen Deutschen ist auch mir bewusst, dass die deutsch-polnischen Beziehungen mehr sein müssen als nur ein gut nachbarschaftliches Verhältnis zweier Staaten mit einer gemeinsamen Grenze. Deshalb habe ich schon als Ministerpräsident von Niedersachsen eine sehr enge Zusammenarbeit mit polnischen Wojewodschaften, Städten und Gemeinden gepflegt. Besonders die Zusammenarbeit mit den beiden niedersächsischen Partnerprovinzen Wielkopolska/Großpolen und Dolny Slask/Niederschlesien lag mir am Herzen.“
2. Zu den polnisch-deutschen Beziehungen:
„Die deutsch-polnischen Beziehungen haben sich in den vergangenen Jahren ausgezeichnet entwickelt. Sie sind so gut und freundschaftlich wie noch nie, aber wir können den Austausch in beide Richtungen noch intensivieren. Ich wünsche mir besonders, dass meine deutschen Landsleute sich noch mehr für Polen interessieren und das schöne Land bereisen“, sagte Wulff im Interview für die Gazeta Wyborcza. Hier ein Ausschnitt aus seiner Rede in Warschau vom Dienstag.
3. Zur Vertriebenen-Thematik:
„Niemand kann und niemand darf die Geschichte umschreiben. Es waren übrigens auch Vertriebene selbst, die viel für die Verständigung zwischen Deutschland und Polen getan haben. Wichtig ist, dass wir nach vorne schauen: Wir sind alle Bürgerinnen und Bürger der Europäischen Union. Zwischen Deutschland und Polen gibt es keine Grenzkontrollen mehr. Auch Deutsche und Polen können unter dem Dach der EU im jeweils anderen Land eine Firma eröffnen und bald auch auf beiden Seiten der Grenze arbeiten. Das ist dann die volle Freizügigkeit. Nimmt man das alles zusammen, kann man sagen: Die bösen Geister, die Europa zwei Mal in den vergangenen hundert Jahren in den Krieg und damit ins Verderben gestürzt haben, sind endlich gebannt.“
POLITYKA: Die wichtige Rolle Polens in Europa
Der Zeit-Redakteur Gunter Hofmann fordert in dem Wochenmagazin Polityka für
Polen die Rolle eines Schwungrades für Europa. „Während die deutsche Politik sich zunehmend nationaler geriere und die europäische Idee hinter sich lasse, habe Polen einen entschiedenen Weg in Richtung Eurozone eingeschlagen“, betont Hoffmann. „Außerdem ist Polen ein guter Berater in der schwierigen Frage, wie sich Europa beim Thema Östliche Partnerschaft verhalten soll, damit diese Partnerschaft keine leere Formel bleibt.“ Warschau übernehme zunehmend die Rolle als Brückenbauer. Dieses Engagement laufe auch nicht Polens Partnerschaft mit den USA zuwider, da sich die Vereinigten Staaten Europa als starken Partner wünschten. So der Kommentar des Zeit-Redakteurs für das Wochenblatt Polityka.
Über die Zukunft Europas und die Rolle Polens schreibt auch der ehemalige Direktor des Zentrums für Internationale Beziehungen Marek Cichocki. „Die Krise hat zu einer neuen Teilung Europas geführt“, meint Cichocki. Kriterium für die Zuordnung zu einem der beiden Lager sei die Qualität der Regierungsführung. Polen stehe in dieser Frage gut da und könne die Entwicklung ruhig beobachten: „Berlin braucht in dieser schwierigen Situation Polen wie selten zuvor. Für das Bündnis mit Deutschland sollten wir etwas im Gegenzug fordern – wie etwa die Unterstützung der Ostpolitik”, so Cichocki.