Auch in der Presse dreht sich heute alles um die Visite von Barack Obama in Polen. Welche Schwerpunkte setzen die Publizisten in ihren Kommentaren?
Dziennik/Gazeta Prawna: Wichtiges Schiefergas
Laut dem Blatt Dziennik/Gazeta Prawna wird das wichtigste Thema des Obama-Besuchs in Polen die Schiefergasförderung sein. Der Grund: Polen ist der erste europäische Staat, in dem die USA ihre Technologien zur Gewinnung von Schiefergas testen wollen. Wenn alles klappt, würde sich für die Amerikaner nicht nur der Weg auf den polnischen, sondern auch auf den europäischen Energie-Markt öffnen.
Voraussichtlich, so Dziennik, wird der US-Präsident heute und morgen daher stark für das Thema Schiefergas lobben. Dabei wird es vor allem um politische Garantien für amerikanische Investitionen in Polen gehen. Schließlich kosten Probebohrungen hunderte Millionen von Dollar. Bevor die US-Konzerne das Geld ausgeben, wollen sie die Sicherheit haben, dass Warschau nicht dem Druck aus Berlin oder Paris nachgibt, wo Schiefergas keine gute Presse hat. Höchstwahrscheinlich wird das Thema Schiefergas daher 90 Prozent der für Wirtschaftsthemen vorgesehenen Zeit einnehmen.
Rzeczpospolita: Mittelosteuropäische Interessen - Und was sagt der Kreml dazu?
Der Publizist der Rzeczpospolita Jerzy Haszczynski blickt der Obama-Visite gelassen entgegen. Polen, so der Publizist, werde für die USA nie ein zweites China oder ein zweites Russland werden. Auch nicht ein zweites Israel oder eine zweite Türkei. Daher sollten wir bei dem Polenbesuch Obamas keine großen Entscheidungen, Reden oder Durchbrüche erwarten. Realistischer sei es, auf symbolische Gesten und auf die mediale Präsenz Polens in den wichtigen internationalen Medien zu zählen.
Symbolisch wäre z.B. die Entscheidung, dass in Polen amerikanische Soldaten stationieren sollen. Ein Symbol sei auch, dass Amerika überhaupt an der militärischen und energetischen Sicherheit Polens interessiert ist. Es wäre auch gut, so Haszczynski weiter, die Anwesenheit des US-Präsidenten sowie zahlreicher Journalisten dazu zu nutzen, an die gemeinsamen Interessen der mittel- und osteuropäischen Länder zu erinnern. Am interessantesten werde dabei sein, ob es gelinge, diese Interessen so zu formulieren, dass das bei dem größten Abwesenden des Gipfels der Staatschefs Mittel- und Osteuropas nicht für Empörung sorgt. Dass das symbolische Interesse der USA an der Sicherheit Polens und ganz Mittel- und Osteuropas nicht zu sehr die Aufmerksamkeit des Kreml auf sich lenkt.
Rzeczpospolita: Hat Polen das Zeug, in Mittel- und Osteuropa den Ton anzugeben?
Stichwort Gipfel der Staatschefs Mittel- und Osteuropas. Dieser ist ja der eigentliche Anlass für den Besuch des US-Präsidenten in Polen. Diese Tatsache positioniert Polen theoretisch als Anführer der Region. Ist Polen aber bereit, diese Rolle zu übernehmen? Wird Litauen z.B. nach den neuesten Konflikten mit Polen Warschau als Leader akzeptieren können? Diesen Fragen geht die Rzeczpospolita in einem Interview mit dem Chef des Zentrums für Internationale Angelegenheiten Janusz Reiter nach. Laut Reiter müsse ein Staat, der seine Nachbarländer vertreten möchte, zuerst ihr Vertrauen gewinnen. Daher müsse Polen die Kunst beherrschen lernen, die Argumente kleinerer Länder zu hören und zu verstehen. Polen, so Reiter, sieht sich immer noch gerne in der Opferrolle, als Land, das schwächer ist, als andere. Es sei an der Zeit zu verstehen, dass Polen weder klein ist, noch schwach ist – für viele Staaten sei Polen groß und stark. Wenn es eine wichtige Rolle in der Region spielen wolle, müsse sich das Land daher jetzt die Mühe machen, die Psychologie kleinerer Länder zu verstehen - auch wenn sie nicht immer rational handeln, so Janusz Reiter in der Rzeczpospolita.
Autor: Adam de Nisau
Redaktion: Joachim Ciecierski