Braucht die EU eine gemeinsame Regierung? Eher nein.
Gazeta Wyborcza: Braucht die EU eine gemeinsame Regierung?
Die Gazeta Wyborcza widmet in ihrem Wirtschaftsteil ganze zwei Seiten dem Internationalen Wirtschaftsforum im polnischen Krynica und fasst die wichtigsten Themen der gestrigen Gespräche zusammen. Demnach diskutierten die Politiker unter anderem darüber, ob die EU eine gemeinsame Regierung haben sollte. Fazit: eher nicht. Zudem wäre die Berufung einer solchen Regierung zur Zeit nicht einmal möglich. Geht es nach dem ehemaligen polnischen Premier Wlodzimierz Cimoszewicz müssten dazu nicht nur der Lissabonner Vertrag, sondern auch die Grundgesetze der EU-Mitgliedsländer geändert werden. Außerdem gebe es keine Garantie, dass eine gemeinsame Regierung die notwendigen Entscheidungen auch wirklich effektiver treffen würde. Vielmehr müsse man daher die existierenden Institutionen verbessern und die Rolle der Europäischen Kommission vergrößern, so Cimoszewicz.
Andere Themen des gestrigen Tages in Krynica:
Holland fordert, die Länder, die den Euro kaputtmachen, aus der Union auszuschließen. Die Europäische Kommission entgegnet: das wäre im Lichte des Lissabonner Vertrags rechtswidrig.
Die Teilnehmer eines Panelgesprächs zu den Erfolgen und Niederlagen der europäischen „Tiger-Wirtschaften“ diskutierten, welche Gefahren die Einführung des Euro für eine kleine, sich entwickelnde Wirtschaft mit sich bringt.
Polityka: Die Ära der Prekarier
Wir bleiben bei großen Problemen der EU. In Europa ist eine neue Gesellschaftsklasse entstanden – das Prekariat, schreibt das Wochenmagazin Polityka. Precarius, so das Blatt, kommt aus dem Lateinischen und bedeutet so viel, wie „auf Hilfe von außen angewiesen sein“. Geht es nach dem Blatt, trifft diese Bezeichnung auf immer mehr Europäer zu, besonders auf junge Menschen. So ist jeder fünfte Europäer in der Altersgruppe 15-24 arbeitslos – ein Drittel mehr, als vor drei Jahren. Wer schon einen Job bekommt, muss sich meistens mit einem befristeten Vertrag und mit niedrigen Löhnen zufriedengeben.
Auch in Polen, schreibt die Polityka, beginnt sich die neue Klasse der ungeschützten Arbeitenden und Arbeitslosen zu bilden. Inzwischen machen hier 18-34-jährige 50 Prozent der Arbeitslosen aus. Die Arbeitslosigkeit unter Jugendlichen ist in Polen doppelt so hoch, wie in anderen Altersgruppen. Die Hälfte derjenigen, die einen Job ergattern, arbeitet nicht im erlernten Beruf und ein Hochschulstudium ist längst keine Garantie mehr, finanziell beziehungsweise gesellschaftlich aufzusteigen. Auch wenn es hier später begonnen hat, so Polityka, Polen erwartet in gesellschaftlicher Hinsicht mit der Zeit dasselbe wie Westeuropa. Das Ergebnis könnten Unruhen, wie zum Beispiel die in London sein, aber auch die Herausbildung einer neuen, jungen und postindustriellen Linken.
Newsweek: Timoschenko – „Janukowitsch versteht Europa nicht“
Das Wochenmagazin Newsweek druckt in der aktuellen Ausgabe ein Interview mit der sich in Haft befindenden ehemaligen ukrainischen Regierungschefin Julia Timoschenko ab. Darin stellt Timoschenko das Gerichtsverfahren gegen sich und ihre Verhaftung als Racheakt von Staatspräsident Viktor Janukowitsch dar und als absolute PR-Pleite der ukrainischen Machthaber. Dass Janukowitsch sie unter fabrizierten Vorwürfen hat verhaften lassen und überzeugt war, gleichzeitig weiterhin gute Beziehungen mit der EU aufrecht zu erhalten, zeige laut Timoschenko, dass er Europa nicht versteht. „Ich kann nur beten“, so die ehemalige ukrainische Ministerpräsidentin, „dass Janukowitschs Dummheit und politische Rachsucht der Ukraine auf dem Weg zur Integration mit Europa in längerer Perspektive nicht allzu viel Schaden beschert.“ Denn dass die aktuellen Machthaber sich mit ihrer antidemokratischen Politik selbst schaden werden, sei offensichtlich.
Polityka: Solidarität – fordern oder praktizieren?
Zum Abschluss noch einige kritischen Worte zur polnischen Außenpolitik von dem Polityka-Publizisten Marek Ostrowski. Wie Ostrowski erinnert, hat Premierminister Donald Tusk auf der Konferenz „Freunde Libyens“ vor einer Woche den Libyern finanzielle Unterstützung in Höhe von einer Million Zloty, also etwa 250.000 Euro vorgeschlagen. Das, so Ostrowski, sei eine unglückliche und zugleich für die polnische Regierung charakteristische Geste gewesen. Polen, lesen wir weiter, berufe sich gerne auf Solidarität und fordere diese von seinen europäischen Partnern. Selbst allerdings tue das Land nur wenig in dieser Richtung. In der aktuellen Studie zu charitativen Einrichtungen (World Giving Index) belegt Polen einen der hinteren Ränge. Die Summen, die die polnische Regierung für Humanitärhilfe ausgebe seien mehr als bescheiden. Es sei Zeit aufzuhören, sich selbst ständig als Opfer der Geschichte darzustellen und Auslandshilfe hinauszuzögern, bis man den reichen Westen eingeholt hat. Eine Million Zloty – mit so einer Summe könne man sich auf der internationalen Arena höchstens lächerlich machen.
Autor: Adam de Nisau
Redaktion: Joachim Ciecierski