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Lieber arm im Kapitalismus, als eine Rückkehr zum alten System!
17.10.2011
GAZETA WYBORCZA: Lieber arm im Kapitalismus, als eine Rückkehr zum alten System!
Weltweit sind am Wochenende Hunderttausende auf die Straße gegangen, um gegen die Macht der Finanzwelt zu protestieren. Auch in Warschau war ein großer Protestzug angekündigt. Doch am Ende kamen nur einige Hundert. Doch warum eigentlich, fragt der Kommentator Jacek Żakowski heute in der Gazeta Wyborcza. Geht es den jungen Menschen in Polen zu gut? Leben sie tatsächlich auf einer Grünen Insel, wie oft beschworen wird? Eher nicht, wenn man einen Blick auf die realen Zahlen wirft. Die Arbeitslosigkeit ist genauso hoch wie in den USA. Wahr ist, dass junge Polen ihre Wohnungen nicht verlieren, weil sie den Kredit nicht mehr zahlen können. Ganz im Gegenteil: Sie bekommen gar keinen Kredit, weil sie Arbeitsverträge haben, die in die Kategorie „Müll“ fallen, meint Żakowski. Sie hätten also allen Grund, auf die Straße zu gehen.
Doch im östlichen Europa herrscht eine andere Mentalität. Lange Jahre lebten die Menschen hier unter dem Diktat des Sozialismus. Selbstverwirklichung und wirtschaftlicher Erfolg waren im Plan nicht vorgesehen. Der Kapitalismus wird demgegenüber als Rettung angesehen. Und sie kennen auch nur die eine Art von Kapitalismus, so wie er im Moment herrscht. Amerikaner, Westdeutsche, Franzosen haben lange Zeit unter den paradiesischen Verhältnissen eines Kapitalismus mit menschlichem Antlitz gelebt. Die unschönen Seiten der Marktwirtschaft trifft sie daher heute umso härter, denn sie sehen, dass sie nicht zu dem einen Prozent der Menschen gehören, die es geschafft haben. Sie gehen unter in der grauen Masse der 99 Prozent, für die Kapitalismus harte Arbeit ist.
Polen sind diesen Kapitalismus gewohnt. Sie haben gelernt, sich durchzubeißen, für ihr Überleben hart zu arbeiten. Sie nehmen es in Kauf, denn in ihren Augen ist alles besser als eine Rückkehr zum Sozialismus nach sowjetischem Vorbild, analysiert der Kommentator Jacek Żakowski in der Gazeta Wyborcza.
RZECZPOSPOLITA: Den Warschauer ist das Kreuz im Sejm egal
Soll das Kreuz nun im Parlament hängen oder nicht? Über diese Frage diskutiert Polen, seit die Partei „Bewegung Palikots“ mit 40 Abgeordneten in den Sejm eingezogen ist. Und die wollen das Kreuz weghaben. Besonders viele Wählerstimmen hat Palikot in Warschau bekommen. Doch den meisten Warschauern ist es vollkommen egal, ob ein Kreuz im Sejm hängt oder nicht. Das geht aus einer Umfrage hervor, die die Zeitung Rzeczpospolita heute veröffentlicht. Demnach wollen nur rund 20 Prozent der Warschauer, dass das Kreuz in politischen Institutionen verschwindet. In Schulen oder Krankenhäusern dulden sie es. Auch an öffentlichen Plätzen stört sich niemand daran. Und das betrifft sowohl gläubige als auch nicht gläubige Warschauer.
Die meisten radikalen Kreuzgegner gehören zur jüngeren Generation. Ein vollkommen normales Phänomen, meint die Zeitung. Die Jugend protestiert von Natur aus gegen überlieferte Traditionen. Einen wirklich laizistischen Staat, also eine in der Verfassung festgeschriebene Trennung von Staat und Kirche, wollen allerdings nur 18 Prozent der Befragten. Und so wird es wohl in absehbarer Zeit nicht zu einer Revolution in Polen kommen, wenn es um den Einfluss der Kirche auf die Politik geht. Und auch das gute Abschneiden Palikots in Warschau ist nach Ansicht der Soziologen keine Sensation. So sei das eben in großen, liberalen Städten, schreibt die Rzeczpospolita.
DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Väter im Erziehungsurlaub werden ausgelacht
Erziehungsurlaub für Väter gibt es auch in Polen. Zwar haben Männer nur Anspruch auf eine Woche Extra-Urlaub. Doch nicht einmal den nehmen die meisten. Der Grund: Sie werden ausgelacht auf Arbeit. Das schreibt heute die Zeitung Dziennik/Gazeta Prawna. Viele Arbeitgeber schütteln ungläubig den Kopf, wenn ihre Mitarbeiter Vaterschaftsurlaub anmelden. Ein Chef, so berichtet die Zeitung, habe den Termin so lange verschoben, bis das Kind seines Mitarbeiters ein Jahr alt war. Dann verfällt der Anspruch auf Vaterschaftsurlaub.
Viele Väter oder Chefs wissen aber einfach nichts davon. Das Familienministerium hat die Einführung des Vaterschaftsurlaubs nicht genügend kommuniziert. Und so verbreitet sich die Nachricht über Mundpropaganda oder in Internetforen. Das ist nicht genug, wie die Zahlen zeigen. Im vergangenen Jahr haben gerade einmal 17 000 von 100 000 berechtigten Vätern ihre Woche Urlaub in Anspruch genommen, schreibt Dziennik.
Autor: Elisabeth Lehmann
Redaktion: Joachim Ciecierski