RZECZPOSPOLITA: Polen war ein großes Konferenzzentrum – mehr nicht
Die polnische EU-Ratspräsidentschaft neigt sich dem Ende zu. Premierminister Donald Tusk hat Bilanz gezogen und die Rzeczpospolita kommentiert die vergangenen sechs Monate. „Heute wissen wir, dass Polen im letzten halben Jahr das europäische Konferenzzentrum war, in dem in dieser Zeit eine beachtliche Anzahl von Versammlungen, Treffen und Gesprächen stattfanden. Doch mit wirklichem Regieren hatte das de facto nichts gemeinsam.“ Die Rzeczpospolita erinnert daran, dass der Vertrag von Lissabon den Handlungsspielraum des EU-Ratspräsidenten massiv eingeschränkt hat und die Krise zudem die Machtverhältnisse verschoben hat.
Die Regierungsverantwortung innerhalb der EU lag in den vergangenen sechs Monaten weder in Polen noch in den EU-Institutionen, sondern vielmehr in Berlin und Paris, meint die Zeitung.
Die EU-Ratspräsidentschaft ist mehr Fassade und soll vor allem den kleinen EU-Staaten den Eindruck vermitteln, dass sie etwas zu sagen hätten. Die Ehre der Ausrichtung wird jedem zuteil, egal ob man fähig ist oder nicht. Natürlich könne man sich in dieser Zeit auf der europäischen Bühne beweisen, zeigen, was man kann. Doch dass Polen dabei eine besonders gute Figur gemacht habe, kann man nicht sagen. Wir haben nur das gemacht, was vor uns schon viele andere Staaten geschafft haben und nach uns noch viele andere Staaten schaffen werden, resümiert die Rzeczpospolita.
GAZETA WYBORCZA: Polen hat seinen Job gut gemacht
Auch die Gazeta Wyborcza widmet sich der EU-Ratspräsidentschaft, zieht aber eine weitaus positivere Bilanz. Man dürfe schließlich nicht vergessen, dass Polen die Führung in der EU in einer der schwersten Zeiten der Staatengemeinschaften übernommen habe. Schaut man sich das Programm der polnischen Ratspräsidentschaft an, könnte man im Endeffekt von einer Niederlage sprechen, das stimmt. Für die 184 Tage waren 886 Dinge vorgesehen, die erledigt werden sollten. Also, etwa fünf Punkte pro Tag. Es war natürlich utopisch, zu meinen, dass Polen das alles abarbeiten könne, meint die Zeitung. Doch einige wichtige Punkte sind erledigt. Es wurde ein gemeinsames europäisches Patent vereinbart, der Beitrittsvertrag mit Kroatien ist in trockenen Tüchern, die Budgetverhandlungen für 2014 bis 2020 laufen.
Doch in einigen Bereichen hat Polen deutliche Niederlagen einstecken müssen, räumt die Zeitung ein. Die Ostpolitik ist auf ganzer Linie gescheitert. Der belarussische Präsident Aleksandr Lukaschenko konnte nicht von einer demokratischeren Vorgehensweise überzeugt werden und auch die Ukraine entfernt sich immer weiter von der EU.
Polen habe seinen Job gut gemacht. Dass die EU dadurch gerettet sei, davon könne aber keine Rede sein, schreibt die Gazeta Wyborcza.
DZIENNIK/GAZETA PRAWNA: Viel Symbolik, wenig Spektakuläres
Die Zeitung Dziennik/Gazeta Prawna zieht ein gemischtes Fazit. Es sei weder so, wie die Regierung behaupte, dass alles von A bis Z umgesetzt worden sei in den vergangenen sechs Monaten. Noch sei die Ratspräsidentschaft ein Flop gewesen, wie die Opposition meint. Doch eines müsse man ganz klar betonen: „Im vergangenen halben Jahr ging es vor allem um Symbolik. Und es macht wenig Sinn, große Erwartungen um eine Sache herum aufzubauen, die wenig Spektakuläres zu bieten hat.“ Das sei der große Fehler der polnischen Regierung gewesen, meint die Zeitung. Es war von Anfang an klar, dass Polen nicht viel ausrichten kann und dass die wirkliche Macht vor allem bei einer Person konzentriert ist – und das ist Angela Merkel, konstatiert Dziennik.
Autor: Elisabeth Lehmann
Redaktion: Filip Zuchowski