• "Moralisch ist die polnische Gesellschaft heute schwächer"
  • 03.06.2010

NEWSWEEK: Kardinal Glemp – meine Bilanz


Über ein Vierteljahrhundert stand er an der Spitze der polnischen Kirche: Kardinal Jozef Glemp nimmt in einem Interview für die Wochenzeitschrift Newsweek (Wszyscy jestesmy grzeszni) Stellung zu den heikelsten Momenten in der neuesten Geschichte der Katholischen Kirche in Polen. Während seiner Amtszeit unterstützten katholische Priester die antikommunistische Opposition im Kampf gegen das Regime. Doch nach der Wende galt Kardinal Glemp als ein verbissener Gegner der Lustration der Geistlichen in Polen. Es sei einfach, heute in einem Atemzug die Namen jener zu nennen, die mit der kommunistischen Geheimpolizei zusammengearbeitet haben. Aber die Dokumente, die in den Archiven der polnischen Geheimpolizei gefunden wurden, sollte man nicht kritiklos betrachten, sagt Glemp. Schon einmal habe er sich für die Priester, die mit den Kommunisten kollaboriert haben, entschuldigt. Und er werde es wieder tun. Auch Priester seien nur Menschen, so Kardinal Glemp.

Über das freie Polen sagt Jozef Glemp, vieles würde ihm nicht gefallen. Er sehe, dass die Freiheit auf Kosten von moralischen Regeln ausgenutzt werde. Er sehe zudem eine starke Tendenz, das traditionelle Modell der Familie zu zerstören, er könne auch mit der In-Vitro-Befruchtung nicht einverstanden sein. Moralisch scheint die polnische Gesellschaft heute schwächer zu sein. Ein Ausweg aus dieser Situation wäre die Vertiefung des Glaubens. Doch im Großen und Ganzen sei die Freiheit ein großer Wert.

Auch der Rundfunksender Radio Maryja machte Kardinal Glemp und der gesamten Bischofskonferenz zu schaffen. Mit Sicherheit sei es den Bischöfen nicht gelungen den Radiodirektor, Pater Tadeusz Rydzyk, zu kontrollieren. Rydzyk sei eine Person, die selbstständig sei, die eigene Wege gehe, aber in den Grenzen der katholischen Kirche. Nie sei es ihm gelungen, die finanzielle Situation des Medienunternehmens von Rydzyk kennenzulernen, gibt Glemp zu. Auf diesem Feld sei der Redemptorist sehr gescheit. Die meisten von ihm geleiteten Institutionen gehören, rein formell, seinem Orden – den Redemptoristen. Einmal wollte er Rydzyk über den Status seines Fernsehkanals fragen, sagt Glemp. Tadeusz Rydzyk deutete an, dies sei nicht seine Angelegenheit, so Kardinal Jozef Glemp in der Wochenzeitschrift Newsweek.   

kk