Gazeta Wyborcza: Eure Politik, unsere Armut
„Eure Politik, unsere Armut“ – unter diesem Motto sind gestern die Gewerkschaftler der „Solidarnosc“ in 16 polnischen Städten auf die Straße gegangen. Insgesamt haben an den Protesten 30.000 bis 50.000 Menschen teilgenommen, berichtet die Gazeta Wyborcza. In den kleinen Orten demonstrierten 200-500 Menschen in den größeren Städten jeweils einige Tausend. Die Gewerkschaftler forderten unter anderem eine Senkung der Akzise für Treibstoff, höhere Auflagen für Arbeitslosigkeit und Sozialleistungen sowie höhere Minimallöhne. Zur Zeit beträgt der Minimallohn in Polen umgerechnet ca. 350 Euro. Die „Solidarnosc“ sammelt nun Unterschriften unter einem Projekt, das die Minimallöhne vom Wirtschaftswachstum abhängig machen soll. Schon jetzt haben das Projekt über 100.000 Menschen unterschrieben, so dass das Parlament sich wird mit ihm auf jeden Fall befassen müssen.
Zu den bisherigen Verhandlungen mit der Regierung meint „Solidarnosc“-Chef Piotr Duda: „Wir versuchen mit der Regierung zu diskutieren. Aber die Regierung respektiert die Übereinkommen, die mit Vizepremier Waldemar Pawlak getroffen werden, nicht. Wenn das Kabinett Tusk auch dieses Mal nicht einlenkt, dann werden wir am 30. Juni, zum Auftakt der polnischen EU-Ratspräsidentschaft, eine große Demo in Warschau organisieren“, so Duda in der Gazeta Wyborcza.
Gazeta Wyborcza: Scheinheilige Gewerkschaften
In ihrem Kommentar zu den Gewerkschaftler-Protesten schreibt die Publizistin der Gazeta Wyborcza Agata Nowakowska: „Es ist normal, dass die Gewerkschaften kurz vor den Parlamentswahlen Stärke zeigen wollen. Sie wissen, dass dies die Zeit ihrer Ernte ist. Ein Teil der Postulate, lesen wir weiter, - wie zum Beispiel die Forderung, mehr Mittel in den Kampf gegen die Arbeitslosigkeit oder in Sozialhilfe zu investieren - ist ja auch plausibel. Das Problem mit den Gewerkschaftlern ist allerdings: wenn es konkret wird, dann gehen sie zur Verteidigung der Brancheninteressen über. Die finanzielle Lage des Staates ist aber nicht rosig. Wenn wir also wollen, dass sich mehr Geld für Arbeitslose oder für arme Kinder findet, dann sollten wir vielleicht auf spezielle Renten für Bergbauarbeiter und die Uniformdienste verzichten. Davon jedoch, wollen die Gewerkschaften leider nichts hören“, so die Publizistin der Gazeta Wyborcza Agata Nowakowska in ihrem Kommentar zu den gestrigen Gewerkschaftler-Protesten in Polen.
Dziennik/Gazeta Prawna: Der Mythos vom Babyboom
Der polnische Babyboom, von dem in den Medien zu hören war, ist anscheinend ein Mythos gewesen. Darüber ist heute in Dziennik/Gazeta Prawna zu lesen. 2010, so das Blatt, ist in Polen zum ersten Mal seit sechs Jahren die Zahl der geborenen Kinder gesunken. 2009 noch waren polenweit knapp 420.000 Kinder zur Welt gekommen, 2010 waren es 7.000 Kinder weniger. Diese Zahlen haben sogar das Hauptstatistikamt GUS überrascht – noch im Januar haben die GUS-Analytiker vermutet, dass 2010 genauso viele Kinder geboren wurden, wie im Vorjahr. „So eine frühe Umkehrung der Wachstumstendenz ist ein sehr beunruhigendes Signal“, warnt die Demographin Irena Kotowska. Die fatale Situation bestätigen auch internationale Vergleiche. So wird Polen im Bereich Geburtenrate im diesjährigen World Factbook unter 223 Ländern auf dem 209. Platz landen. Die Hauptursache für die fatalen Ergebnisse, so Dziennik, ist die schwache Familienpolitik des polnischen Staates. Die Auflagen für Familien belaufen sich in Polen zur Zeit auf nur ein Prozent des Bruttoinlandprodukts, die Ausgaben für Renten dagegen auf 14 Prozent des BIP. Kein Wunder. Polen leistet sich immer noch knapp 40-jährige Rentner aus den Uniformdiensten und hat auch das Renteneintrittsalter noch nicht erhöht. Bis das nicht geregelt wird, wird die Lage bestimmt nicht besser, so Dziennik/Gazeta Prawna.
Autor: Adam de Nisau
Redaktion: Joachim Ciecierski