• Gesunder Menschenverstand gesucht
  • 22.06.2011

Rzeczpospolita: Gesunder Menschenverstand gesucht

Die gestrige deutsch-polnische Regierungssitzung in Warschau ist heute auf den Titelseiten aller Zeitungen zu finden.

In der Rzeczpospolita ruft der Publizist Marek Magierowski im Anschluss an die Sitzung zu mehr gesundem Menschenverstand im beiderseitigen Verhältnis auf. Polen, so Magierowski,  habe zur Zeit eine Regierung, die sich blindlings in die Arme von Angela Merkel wirft. Gleichzeitig ist sie nicht in der Lage, günstige Lösungen in strittigen Themen – wie die Ostseepipeline oder die Anerkennung der Rechte der polnischen Minderheit in Deutschland - durchzusetzen. Andererseits habe Polen auch eine Opposition, die Deutschland mit Schlamm bewirft und es anklagt, eine neokoloniale Politik gegenüber dem Nachbarn zu betreiben. Als diese Opposition jedoch an der Macht gewesen sei,  erinnert der Publizist, seien ihre Errungenschaften in den Beziehungen zu Berlin genauso mager gewesen.

Die Regierung, lesen wir weiter, könnte einen Eimer kaltes Wasser gebrauchen. Und die Opposition – einen Eimer warmes Wasser. Denn in den heutigen deutsch-polnischen Beziehungen sei eine freundliche aber auch vernünftige Haltung vonnöten. Bisher habe Polen Deutschland gebraucht. Heute brauche auch Deutschland Polen. Es sei schwer, auf dem alten Kontinent ein Land zu finden, das zur Zeit eine schlechtere Presse habe.

Die Vision eines deutsch-polnischen Tandems, das Europa den Ton angebe, bleibe weiterhin utopisch. Aber Deutschland habe aufgehört, ein Land zu sein, das die Polen bedingungslos lieben oder auch hassen müssen. Und das sei der wichtigste Erfolg in unseren Beziehungen nach 1989, so Magierowski in der Rzeczpospolita.

Dziennik/Gazeta Prawna: Deutsch-polnische Beziehungen besser denn je

Einen Kontrapunkt zum Kommentar von Magierowski bildet die Aussage von Andrzej Talaga in Dziennik/Gazeta Prawna. Laut Talaga sei auf der gemeinsamen Sitzung der polnischen und deutschen Regierung gestern in Warschau nicht zu sehen gewesen, dass Ministerpräsident Tusk Kanzlerin Merkel ehrfürchtig gehuldigt habe, wie die rechtskonservativen Medien schreiben. Die Feierlichkeiten, so Talaga, hätten in Warschau stattgefunden, wo Polen Gastgeber gewesen sei und nicht unter dem Brandenburger Tor. Wer über deutsche Domination oder ein deutsch-russisches Kondominium spreche, erzähle daher Unsinn. Man könne natürlich annehmen, dass das gestern unterzeichnete Paket von Zukunftsprojekten nicht exakt den polnischen Interessen entspreche, wie zum Beispiel im Fall der Ostseepipeline oder der Frage der polnischen Minderheit in Deutschland. Natürlich könne man das, aber wozu? In den deutsch-polnischen Beziehungen werde es immer Spannungen geben. Doch am wichtigsten bleibe die Gesamtbilanz. Und diese sehe so aus, dass wir nicht nur seit dem Fall des Kommunismus, sondern auch seit den Teilungen Polens im 18. Jahrhundert nicht mehr so eine gute Situation an der westlichen Grenze gehabt haben. Das sei vor allem der harten Arbeit der Polen und Deutschen zu verdanken. Und diese Errungenschaften sollte man nicht leichtsinnig untergraben, so Talaga im Dziennik.

Rzeczpospolita: Fiesta in Kulturhaupstadt Wroclaw

Die Europäische Kulturhauptstadt 2016 wird Wroclaw heißen.  Das hat gestern eine internationale Jury entschieden. Was für ein Programm möchte Wroclaw in fünf Jahren über die Bühne bringen? Unter anderem sollen auf den jetzt leeren Gebäudewänden Kunstwerke von Breslauer Künstlern zu sehen sein, die Einwohner der Stadt sollen ihre Wohnblocks kreativ verschönern, auf der Oder wird eine Galerie auf dem Wasser entstehen, berichtet die Rzeczpospolita. Außerdem, so die Rzeczpospolita, stehen Workshops zu Innenarchitektur und der Internetservice Kultube, also eine kulturelle Version von YouTube, auf dem Plan. Für diejenigen, die keinen guten Zugang zur Kultur haben, plant Wroclaw „Kulturobligationen“ einzuführen. Dank den Papieren werden die ärmeren Einwohner Wroclaws das Kulturangebot der Stadt billiger nutzen können. „Insgesamt wollen wir“, so Stadtpräsident Rafal Dutkiewicz, „dass das Jahr 2016 eine große Fiesta wird. Ich versichere, dass wir ein riesiges Festival haben werden! Und viel Spaß! Es wird viel Unterhaltung geben, aber auch Reflexion und Anspruch kommen nicht zur kurz“,  verspricht Rafal Dutkiewicz im Interview mit der Rzeczpospolita.

 

Autor: Adam de Nisau

Redaktion: Joachim Ciecierski