• POLITYKA: Die Zeit der großen Ideen in Europa ist vorbei
  • 08.07.2011
POLITYKA: Polen kann das Gewissen Europas sein

Polen hat die erste Woche der EU-Ratspräsidentschaft überstanden und natürlich kommentieren auch die Wochenmagazine die Herausforderungen, vor denen Polen in kommenden sechs Monate noch steht.
Jerzy Baczynski, der Chefredakteur der Polityka, sieht Polen mal wieder als klassischen Pechvogel der Geschichte: kaum ist Polen der Schengen-Zone beigetreten, droht diese zu zerfallen; kaum hat die polnische Regierung ihren Willen bekräftigt, den Euro einzuführen, schlittert der in die größte Krise seiner Geschichte; kaum wird das Datum festgesetzt, wann Polen die EU-Ratspräsidentschaft übernehmen soll, tritt der Vertrag von Lissabon in Kraft und beraubt Polen wichtiger Kompetenzen.
In dieser Situation bleibe nur noch die Frage: Womit kann man Europa heutzutage noch dienen? Wenn Polen schon keine wirkliche Macht mehr im Rahmen der Präsidentschaft habe, müsse es eben ein bisschen „soft power“ anwenden, meint Baczynski. „Polen kann Europas Gewissen sein, das immer wieder an Werte wie Solidarität, Zusammenhalt und Mut erinnert. Es kann die Erinnerung wachhalten an die Emotionen und Visionen, durch die diese Gemeinschaft aus ehemals verfeindeten Staaten entstehen konnte.“ Polen sei für diese Aufgabe außerordentlich gut geeignet, meint Baczynski. Denn kein anderes Land habe eine ähnliche Möglichkeit, sich auf die Geschichte, Symbole, den Glauben und sogar einen gewissen Pathos zu berufen. Und die Polen müssen sich dafür nicht einmal schämen, meint Jerzy Baczynski in der Polityka.  


POLITYKA: Die Zeit der großen Ideen ist vorbei

Auch Janusz Lewandowski, EU-Haushaltskommissar und Pole, wird in der Polityka gefragt, was Polen für die EU tun kann. Lewandowski ist jedoch zurückhaltender, wenn es darum geht, dass Polen die EU mit seinem Enthusiasmus anstecken kann. Enthusiasmus lasse sich nicht verordnen, sagt er, gibt aber zu, dass Polen durchaus glaubwürdig sei in seiner Rolle als großer Motivator. Schließlich habe das Land vor nicht allzu langer Zeit an die Türen der Union geklopft und poche nun darauf, dass die EU nicht auseinanderfalle. Letztendlich müsse die Union sich aber selbst retten, sagt Lewandowski: „Sie muss nützlich sein, darf aber nicht zu aufdringlich sein. Sie darf die Menschen nicht ständig mit neuen Strategien und abgenutzten Slogans nerven. Wir müssen ein Europa des Nutzens finden.“ Eine andere Chance habe die Union auch nicht. Das Gefühl der Sicherheit und Solidarität sind die Werte, auf die sich die EU heute stützen müsse. Denn die Zeit der großen Ideen sei lange vorbei und werde wohl auch nie wieder kommen, meint der EU-Haushaltskommissar Janusz Lewandowski in der Polityka.  


WPROST: Frauen sind in Polen Bürger zweiter Klasse

Die Professorin und bekennende Feministin Magdalena Sroda kommentiert die EU-Ratspräsidentschaft in der Wochenzeitschrift Wprost aus einer anderen Perspektive. Warum, fragt Sroda, ist eigentlich die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau kein Thema während der Präsidentschaft? Frankreich, Spanien, Schweden – sie alle hatten die Geschlechterfrage zu einer Priorität während ihrer Präsidentschaft gemacht. Doch Polen lebe in diesem Bereich immer noch im Mittelalter, schreibt Sroda. Anders könne sie sich nicht erklären, warum hierzulande noch immer Diskussionen darüber geführt werden, ob eine Frau selbst über eine Schwangerschaft entscheiden darf oder nicht. Warum werden solche Entscheidungen noch immer von der katholischen Kirche beeinflusst? Sroda kommt zu einem ernüchternden Urteil: Frauen werde in Polen noch immer als Bürger zweiter Klasse wahrgenommen. Sie werden nicht ernst genommen. Die Regierung hätte jetzt die Chance gehabt, die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau auf ein europäisches Niveau zu heben. Doch sie hat sie verpasst, konstatiert Magdalena Sroda in der Wprost.  

Autor: Elisabeth Lehmann
Redaktion: Joachim Ciecierski