Alle Zeitungen kommentieren heute den gestrigen Streik bei der polnischen Regionalbahn. Insgesamt sind am Mittwoch etwa 2000 Regionalverbindungen ausgefallen. Die Gewerkschaftler forderten Lohnerhöhungen.
Rzeczpospolita: Eigentümer der Regionalbahn nicht am Wohlergehen der Firma interessiert
„Bei dem Streik geht es allerdings nicht allein um Lohnerhöhungen“, schreibt in seinem Kommentar zu dem Thema der Publizist der Rzeczpospolita Lukasz Korycki. Zwar, so der Autor, gäbe es wahrscheinlich fürs Erste keine Streiks mehr, wenn die Regierung die geforderten Lohnerhöhungen von durchschnittlich 70 Euro bewilligt hätte. Das eigentliche Problem allerdings wäre damit nicht gelöst.
Dieses sei die komplizierte Eigentumsstruktur der polnischen Regionalbahn. Eigentümer des Unternehmens sind die Machthaber der 16 Wojewodschaften. Theoretisch sollte jeder von ihnen an dem Wohlergehen der Firma interessiert sein. In der Praxis jedoch würden die Wojewodschaften ihre eigenen Bahnunternehmen eröffnen. Beispiele dafür seien die Schlesische und die Niederschlesische Bahn, die mit der Regionalbahn in Konkurrenz stehen – sowohl was Kunden, wie auch was Schienenfahrzeuge betrifft. Der Protest der Bahnangestellten sei auch gegen diese Haltung der Firmeneigentümer gerichtet, die offenbar nicht sonderlich an der Entwicklung ihres Unternehmens interessiert seien, so Korzycki in der Rzeczpospolita.
Dziennik/Gazeta Prawna: Infrastrukturminister macht gute Arbeit
Im Zusammenhang mit dem gestrigen Streik, fordert die Opposition erneut den Kopf von Infrastrukturminister Cezary Grabarczyk. Zu Unrecht, meint der stellvertretende Chefredakteur der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna Marcin Piasecki. Es, so Piasecki, sei vielleicht ein halsbrecherisches Unterfangen, aber er werde Grabarczyk verteidigen. Man werfe dem Infrastrukturminister vor allem das Chaos bei der polnischen Bahn vor und die Blamage beim Bau der A2 durch die chinesische Firma Covec. Dabei vergesse man, wie viel sich während der vierjährigen Amtszeit von Grabarczyk im Infrastrukturbereich getan hat. Halb Polen, argumentiert Piasecki, stehe heute in Staus, weil so viele neue Straßen gebaut werden. Die Bahn sei gewiss schon seit zwanzig Jahren ein großes Problem für Polen, auch Grabarczyk bereitet es ohne Zweifel enorme Schwierigkeiten. Nichtsdestotrotz, auch hier habe der Infrastrukturminister eine großangelegte Modernisierungsaktion in Gang gebracht. Daher verdiene Grabarczyk nicht, kurz vor dem Ende seiner Kadenz sein Amt zu verlieren, so Marcin Piasecki in Dziennik/Gazeta Prawna.
Gazeta Wyborcza: Polen hat ein Imageproblem
Polen hat weiterhin ein ernsthaftes Imageproblem. Das geht aus einem Bericht hervor, den der Geschichts-Professor Adam Suchonski für das Außenministerium vorbereitet hat. Suchonski hat vor der polnischen EU-Ratspräsidentschaft alle Geschichtsbücher in Europa darauf untersucht, welches Wissen über Polen sie vermitteln. Er wollte herausfinden, was für ein Bild Polens die europäischen Jugendlichen von ihrer Schulzeit mitnehmen.
Die Ergebnisse der Studie: In dem britischen Geschichtsbuch „History in the Making“ von 2002 z.B. ist zu lesen (Zitat): „Die polnische Landwirtschaft ist sehr rückständig. Maschinen werden nur selten benutzt. Eine solche Landwirtschaft kann nicht effektiv sein.“
Ein anderes britisches Geschichtsbuch von 2001 gibt Folgendes zu bedenken: „Polen ist der Kranke Mensch Europas. Anarchie, Liberum Veto, den Tron konnte man für Schmiergeld kaufen. Lassen sich diese Eigenschaften ändern?“
In vielen Geschichtsbüchern, lesen wir weiter in dem Artikel, sind im Kapitel „Polen“ Fotos zu finden, auf denen die Arbeit auf dem Feld noch von Hand verrichtet wird, Fotos von Mistwagen und Pferdegespann. Das deutsche, 2002 herausgegebene, Geschichtsbuch „Zeitreise“ bringt ein Bild rauchender Kamine im Krakauer Viertel „Nowa Huta“. Darunter die Unterschrift: „Ist ein Land mit einer solchen Haltung gegenüber dem Umweltschutz reif für die EU?“
„Diese Bücher“, ärgert sich Historiker Suchonski, „werden weiterhin im Unterricht verwendet. Sie festigen das schlechte Image Polens. Jährlich lernen 60 Millionen europäische Abiturienten daraus. Die Polen werden als Kämpfer und Opfer von Kriegen, Verfolgungen und misslungenen Aufständen dargestellt.“
Suchonski fordert das Außenministerium zu schnellem Handeln auf. Polen, so Suchonski, brauche Institutionen, die den Markt der europäischen Schulbücher überwachen. Fehler sollten schnellstmöglich entdeckt und korrigiert werden, wie bei dem schwedischen Geschichtsbuch, in dem vom „polnischen Konzentrationslager Auschwitz“ die Rede war. Die polnische Reaktion, erklärt Suchonski, kam prompt und die Schweden haben den Fehler rasch behoben.
Im Außenministerium, erfahren wir zum Abschluss des Artikels, wurde ein Sonderteam gebildet, dass sich mit dem Thema befassen soll. Den Bericht von Suchonski haben auch das Bildungsressort, das Kulturministerium sowie die polnischen Botschaften und Konsulate erhalten.
Autor: Adam de Nisau
Redaktion: Joachim Ciecierski