• European Correctness statt Denken
  • 12.12.2011
Alle Zeitungen kommentieren heute noch die Ergebnisse des EU-Krisengipfels von letzter Woche. Dabei schwingen auch viele skeptische Töne mit.

Rzeczpospolita: European Correctness statt Denken


In der Rzeczpospolita kritisiert der Publizist Rafal Ziemkiewicz die Haltung der polnischen Politiker bei dem EU-Gipfel in Brüssel. Polen hatte am Freitag dem neuen zwischenstaatlichen Stabilitätsvertrag zugesagt und die Haltung des britischen Premiers kritisiert, der die Einheit der Union gesprengt hat. Cameron halte zu stark am „Mythos eines Nationalstaates“ fest, hieß es unter anderem von einem Politiker der polnischen Linken. Geht es nach Ziemkiewicz, seien solche Aussagen ein deutliches Warnsignal. Sie beweisen deutlich: Das Schicksal Polens liege in Händen von Menschen, die naiv und erschreckend anachronisch denken.

Denn in Wirklichkeit, so der Rzeczpospolita-Publizist weiter, sei nichts anderes als der Nationalstaat das führende Handlungsmotiv aller Europäischen Spieler. So kämpfe Deutschland zum Beispiel um den Schutz seines Exports, Frankreich um den Schutz seiner Banken, die Briten beschützen ihre Währung und so weiter. Die höchste Instanz für alle europäischen Politiker bleiben ihre Wähler und keiner von ihnen habe auch nur die geringste Absicht, die partikulären Interessen seines Staates einem so genannten „gemeinsamen europäischen Interesse“ unterzuordnen. Ganz im Gegenteil.  Die Wahrheit über die Regeln der europäischen Politik finde man nicht in den abgedroschenen Phrasen über Solidarität. Vielmehr darüber sagt zum Beispiel die Gaspipeline unter der Ostsee, die im Interesse Deutschlands vier EU-Mitgliedsstaaten von der Union abgetrennt hat.

Fazit: Wenn man die neuesten Entscheidungen der polnischen Regierung beobachte, bleibe nur einzusehen, dass das Denken in den polnischen Eliten zu einem Schluss gekommen ist. Nun herrsche „Europäische Correctness“, so Rafal Ziemkiewicz in der Rzeczpospolita.

Dziennik/Gazeta Prawna: Erst denken, dann handeln


Auch der Publizist der Tageszeitung Dziennik/Gazeta Prawna Zbigniew Parafianowicz ist mit den neuesten Beschlüssen der EU nicht ganz zufrieden. Zumindest einige Unklarheiten, so Parafianowicz, sollte die polnische Regierung unbedingt klären, bevor sie eine endgültige Entscheidung über den Beitritt zu dem neuen zwischenstaatlichen Stabilitätsvertrag trifft.

Die Ungereimtheiten, lesen wir weiter im Kommentar, fangen schon mit dem Titel der Abschlusserklärung des Gipfels an. An dem Treffen in Brüssel hatten 27 Staaten teilgenommen. Die ganze EU. Indes trägt die Abschlusserklärung den Titel „Erklärung der Staats- beziehungsweise Regierungschefs der Eurozone“. „Bedeutet das, dass ab nun nur noch die Eurozone die Entscheidungen treffen wird?“, fragt Parafianowicz.

Nächster Punkt: die neuen Spielregeln sollen im Rahmen eines zwischenstaatlichen Übereinkommens festgelegt werden. Damit verliere Polen in vielen wichtigen Angelegenheiten sein Vetorecht. Wenn irgendwelche neuen Regeln der polnischen Regierung nicht passen, kann sie höchstens auf die Unterzeichnung des Vertrags verzichten, von den Konsequenzen der getroffenen Vereinbarungen wird Polen aber dennoch betroffen sein. „Wer garantiert uns, dass während der Verhandlungen zum Übereinkommen nicht der Europäische Binnenmarkt auseinandergenommen wird?“, bohrt der Dziennik-Publizist weiter.

Schon allein wegen dieser zwei Ungereimtheiten dürfe man nicht gedankenlos die Floskel wiederholen, dass das einzige Rezept gegen die Krise mehr Integration ist. Man müsse auch die Frage stellen, welche Integration den polnischen Interessen dient, so Parafianowicz in Dziennik/Gazeta Prawna.

 

Gazeta Wyborcza: Ende eines endlosen Albtraums?

Ein weiteres wichtiges Thema in der polnischen Presse sind, neben dem EU-Gipfel, die neuesten Antiregierungs-Proteste in Russland. Das umstrittene Ergebnis der Parlamentswahl vom 4. Dezember hatte am Wochenende Zehntausende Menschen auf die Straßen getrieben. Allein in Moskau forderten am Samstag nach unabhängigen Schätzungen bis zu 80.000 Demonstranten Neuwahlen und den Rücktritt von Regierungschef Wladimir Putin. Auch in Sankt Petersburg und rund 60 weiteren Städten kam es zu Protesten.

Eine Antwort auf die Frage, was genau in Russland am vergangenen Samstag geschehen ist, sucht Waclaw Radziwinowicz von der Gazeta Wyborcza.

Zum einen, so Radziwinowicz, hätten sich die russischen Bürger, vor allem die Jungen, gezählt. Und es waren viele. Zudem hätten die Demonstranten gesehen, dass sich die Polizei auch normal verhalten kann: ohne zu schlagen, zu verfolgen, ja manchmal kann sie sogar hilfsbereit sein. Schließlich habe man sehen können, dass friedliche Proteste in Russland möglich seien. Bis zu 80.000 Menschen und keine einzige zerschlagene Fensterscheibe, kein blauer Fleck, bemerkt der Publizist.

Wie gehe es nun weiter? In Russland sei bisher die Überzeugung verbreitet gewesen: entweder erwartet uns ein albtraumhaftes Ende oder ein Albtraum ohne Ende. Die letzten Ereignisse haben gezeigt, dass es in dieser Gesellschaft Menschen gibt, mit denen man Änderungen auch ohne albtraumhaftes Ende durchführen kann. Und die einem Albtraum ohne Ende, also der Stagnation unter Putins „Einem Russland“, eine klare Absage erteilen.

Autor: Adam de Nisau

Redaktion: Joachim Ciecierski