• Tschechiens traurigstes Weihnachten
  • 19.12.2011


In allen polnischen Zeitungen sind heute Kommentare zum Tod von Vaclav Havel und Nachrufe zu finden.

Gazeta Wyborcza: Tschechiens traurigstes Weihnachten

Der Reporter der Gazeta Wyborcza Lubosz Palata berichtet aus Prag. Als die Nachricht über den Tod Havels sich per SMS in Windeseile in der Stadt verbreitet habe, sei er gerade in einem der Prager Restaurants gewesen. Nach zehn Minuten habe niemand mehr gegessen, manche hätten begonnen zu weinen. In Trauer hätten sie das Lokal verlassen. Nach 15 Minuten sei nur ein junges Paar im Restaurant geblieben. Das Mädchen weinte. Alle Kellner wussten, dass sie Havel beweint. Tschechien steht nun das traurigste Weihnachtsfest seit vielen Jahren bevor, so Lubosz Palata für die Gazeta Wyborcza aus Prag.

Rzeczpospolita: Havel war ein Freund Polens

Die Rzeczpospolita erinnert an die Zusammenarbeit Havels und der tschechischen Charta 77 mit polnischen Dissidenten zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Die Kooperation, lesen wir in dem Blatt, hat am 6. August 1978 begonnen. Damals trafen sich Vertreter der polnischen Oppositionsgruppierung KOR mit Aktivisten der Charta 77 an der polnisch-tschechoslowakischen Grenze, um eine gemeinsame Erklärung zum 10. Jahrestag des Prager Frühlings zu unterzeichnen. Die polnisch-tschechische Zusammenarbeit wurde später im Rahmen der 1981 entstandenen Polnisch-Tschechoslowakischen Solidarnosc fortgeführt. Zunächst ging es überwiegend um den Austausch von Informationen oder unabhängiger Literatur, später kamen gemeinsame Aktionen hinzu, wie die Organisation von Demonstrationen und  Hilfsaktionen für politische Gefangene. „Das war etwas einzigartiges im ganzen Ostblock“, erinnert sich der Senatsmarschall Bogdan Borusewicz, „Havel war immer ein Freund Polens gewesen. Er hat auf die Integration Europas aus der Perspektive der ganzen Region geschaut und nicht nur aus tschechischer Perspektive.“


Gazeta Wyborcza: Freunde erinnern sich an Havel

In der Gazeta Wyborcza kommen einige polnische Freunde Havels zu Wort.

Adam Michnik, Chefredakteur der Gazeta Wyborcza

Allen voran der Chefredakteur der Zeitung Adam Michnik, der Havel schon aus Zeiten der Treffen zwischen der polnischen KOR und der tschechischen Charta 77 kannte. Havel habe später über diese Treffen geschrieben, dass diese ihn, „einen notorischen Anti-Touristen, dazu gezwungen haben, fünf Mal die (an der polnisch-tschechischen Grenze liegende) Schneekoppe zu besteigen. Dafür wurde er aber auch reich belohnt. Er konnte persönlich Adam Michnik, Jacek Kuron und andere Mitglieder der KOR kennenlernen und sich mit ihnen für immer anfreunden“, erinnerte sich Havel.

Mit Sicherheit, so Adam Michnik zum Abschluss seines Leitkommentars in der Gazeta Wyborcza, hast Du die Welt anders hinterlassen, als Du sie angetroffen hast. Und dieses Erbe wird durch viele Menschen in vielen Teilen der Welt geschützt und gepflegt werden. Dies kann ich Dir von Herzen versprechen, lieber Vaszko.

Aleksander Kwasniewski, ehemaliger polnischer Staatspräsident

Der ehemalige polnische Staatspräsident Aleksander Kwasniewski kannte Vaclav Havel vor allem aus einem Urlaub, den der tschechische Politiker und Schriftsteller 2005, schon als ehemaliges Staatsoberhaupt, in der Sommerresidenz der polnischen Präsidenten an der Ostsee verbracht hat. Er, so Kwasniewski, sei ein Mensch voller Widersprüche gewesen. Einerseits tat er sich schwer in der Politik mit ihrer Aggressivität und Skrupellosigkeit, es sei nicht seine Welt gewesen. Trotzdem sei er durch seine Überzeugungen unheimlich stark gewesen und habe zwei Mal das Amt des Staatspräsidenten bekleidet. Er hoffe sehr, dass sich Havlismus, also die Überzeugung, dass Werte wichtiger sind als Macht, in den polnischen Parteien mehr Verbreitung findet, so Aleksander Kwasniewski.


Krystyna Krauze, Dokumentarfilmerin

Auch die polnische Dokumentarfilmerin Krystyna Krauze hat Havel als einen Mann voller Widersprüche in Erinnerung. Trotz seiner politischen Durchschlagskraft - in seinem Haus, erinnert sich Krauze, sei für die Männersachen seine erste Frau Olga zuständig gewesen. So habe zum Beispiel  Havel an seinem Geburtstag 1989 Havel die Glühbirne über dem Salontisch wechseln wollen. Es habe nicht lange gedauert, bis die Anwesenden Vertreter der Charta 77 Havel kategorisch vom Tisch geholt haben. Der Kommentar: es sei besser, wenn er bei der Dissidenten-Tätigkeit bleibe und solche alltäglichen Aufgaben uns Sterblichen überlasse. Nur zwei Monate später sei Havel Staatspräsident der Tschechoslowakei geworden. Herr Präsident, Waclaw – danke Dir für alles, was Du für uns gemacht hast! Du hast uns das menschliche Antlitz der Macht gezeigt, so Krystyna Krauze in ihrem Nachruf in der Gazeta Wyborcza.

Autor: Adam de Nisau
Redaktion: Joachim Ciecierski